2022 hat uns God of War Ragnarök einige der spannendsten Kämpfe und emotionalsten Höhepunkte des Jahres geliefert. Und während natürlich die Haupthandlung ihre eigenen Highlights aufweist, bieten auch die „Gefallen“ (also die Nebenquests) einige der unvergesslichsten Augenblicke für unsere Charaktere. Diese optionalen Abenteuer einzubauen, stellte die Entwickler des Spiels jedoch vor einige Herausforderungen.
Santa Monica Studio wollte einzigartige Nebenmissionen schaffen, die kleine, aber bedeutende Geschichten erzählen, die die Charaktere noch mehr herausarbeiten. Diese Quests machten nicht nur den Protagonisten Kratos menschlicher, sondern auch die Freunde, Verbündeten und die Familie, die der einst gnadenlose Kriegsgott seit dem Ende seiner Reise im Olymp gefunden hat.
Wir haben mit Lead Player Investment Designer Anthony DiMento und Lead Writer Rich Gaubert über die Implementierung einiger der denkwürdigsten Nebenquests des Spiels gesprochen.
Im Dienste des großen Ganzen
Die Nebenquests in God of War Ragnarök sollen nicht nur die Welt erweitern, sondern vor allem auch die Charaktere und die übergreifenden Themen herausarbeiten, die durch ihre Reisen entstehen.
„Dieses Mal hatten wir eine genauere Vorstellung davon, was wir mit den Nebenquests erreichen wollten. Ich glaube, viele Entwickler sehen den Anreiz darin, damit die Spielwelt und das damit verbundene Wissen auszuarbeiten“, erklärt Gaubert. „Und während das auf jeden Fall ein Teil der Überlegungen ist, sollte das für uns nicht der Fokus sein. Wir wollten uns auf die Charaktere und Themen konzentrieren und dafür sorgen, dass die Handlung des Hauptstrangs und die Geschichten der Nebenquests Teil eines großen Ganzen sind. Das Spielwissen und das World-Building sollten entstehen, indem wir die Charaktere besser kennenlernen – nicht andersherum. Man verliert sich sonst viel zu leicht in Details, wenn man nicht die Charaktere als Fundament nimmt, da man sich mit ihnen einfacher identifizieren kann.“
Der erste Gefallen im Spiel, „Im Dienste Asgards“, illustriert das sehr gut. In dieser Quest stellen sich Kratos, Atreus und Mimir den fehlgeleiteten Versuchen aus Mimirs Vergangenheit, Odins Gunst zu gewinnen, indem er die Zwerge von Svartalfheim davon überzeugte, Bergbaumaschinen zu bauen, um Ressourcen für Odin zu gewinnen. Der Preis dafür war jedoch hoch, denn die Umwelt wurde verschmutzt und Svartalfheim wurde seiner Ressourcen beraubt. Jetzt möchte Mimir den Schaden wiedergutmachen, die Welt heilen und sein Gewissen entlasten.
Der Gefallen dreht sich nicht nur um eines der Dinge, die Mimir am meisten bereut, was seinem tiefen Hass auf Odin mehr Kontext verleiht, er reflektiert auch das umfassendere Thema, nicht vor der Vergangenheit davonzulaufen – womit ja auch Kratos seine Schwierigkeiten hatte. Zwar steht Kratos nicht im Mittelpunkt dieses Gefallens, doch durch diese Nebenquest konnte das Team von Santa Monica Studio ein neues Licht auf den ehemaligen Kriegsgott werfen, der Mimir dabei hilft, die Fehler wiedergutzumachen, die in der Vergangenheit unter einem grausamen Herrscher begangen hat. Dabei werden viele übergreifende Themen beider Charaktere angesprochen, beispielsweise persönliche Verantwortung und Reue.
„Es geht darum, den Themen treu zu bleiben und die Nebencharaktere zu Spiegeln des Hauptcharakters zu machen. Sie können Wege aufzeigen, die der Protagonist nicht gegangen ist, oder davor warnen, was passiert, wenn der Held einen bestimmten Weg weiter verfolgt“, führt Gaubert aus. „Sie spiegeln den Helden wider. Dieser Philosophie folgen wir auf jeden Fall für die Haupthandlung, aber auch für die Nebenquests und ihre Bedeutung für das große Ganze.“
Beim Entwerfen der Nebenquests von God of War Ragnarök musste das „Player Investment“-Team mehrere essenzielle Elemente festlegen, bevor es sich an die eigentlichen Geschichten machen konnte. Fragen wie „Wann und wo fangen diese Quests an?“ und „Haben die Charaktere, die die Geschichte voranbringen, vor und nach Ragnarök dieselbe Motivation?“ mussten in der Entwicklung beantwortet werden.
Das Wichtigste war, die Welt zu einem dynamischen, lebendigen Ort zu machen, indem die Spieler die Freiheit bekamen, selbst zu entscheiden, wann und in welchem Tempo sie die Quests angehen wollten.
„Die Welt sollte sich zusammenhängend und lebendig anfühlen“, sagt DiMento. „Die Spieler sollten es nie bereuen, eine Nebenquest nicht sofort gemacht zu haben, sobald sie verfügbar war, oder wenn sie sich entschließen, sie erst nach dem Abschluss der Haupthandlung in Angriff zu nehmen. Sie sollen die Inhalte spielen und genießen können, egal, wann sie die Quests angehen.“
Doch mit dieser Design-Philosophie musste das Team einige knifflige Variablen einbeziehen, zum Beispiel wenn Charaktere die Gruppe verlassen.
„In God of War Ragnarök haben wir eine größere Besetzung als im Vorgänger, aber viele Charaktere kommen nur in bestimmten Teilen der Geschichte vor. Also haben wir nach Konstanten gesucht. Charaktere, auf die wir uns stützen konnten, um einige der Nebenquests voranzutreiben. Das war eine der großen Herausforderungen bei den Nebenquests, aber es war auch aufregend, Lösungen zu finden. Das erste Mal haben wir das mit „Im Dienste Asgards“ getestet. Ich habe die Autoren nach einer Konstante gefragt, und sie haben mir zugestimmt, dass Mimir eine gute Wahl wäre. Am Anfang gab es Momente, in denen wir ihn zurückgelassen hatten, aber dann haben wir alles noch mal umgeschrieben, um sicherzugehen, dass er immer dabei war, wenn etwas zum Erkunden verfügbar war.“
Diejenigen, die die Haupthandlung schon abgeschlossen haben, wissen, dass das Team eine zusätzliche Dimension von Komplexität bewältigen musste, um Gefallen zu erschaffen, die entweder während oder nach der Hauptgeschichte spielbar sind. Nebenquests müssen also nicht nur die Konstante im Blick behalten, sondern mussten auch zulassen, dass Kratos von verschiedenen Charakteren begleitet wird, die eine interessante Perspektive auf die jeweilige Situation bieten konnten.
Ein tolles Beispiel dafür ist der traurige Gefallen „Das Gewicht der Ketten“. Diese Nebenquest handelt von einem weiteren Fehler aus Mimirs Vergangenheit, als er den Allvater auf Kosten von Unschuldigen beeindrucken wollte. In diesem Fall verdammte er eine Walkreatur namens Lyngbakr zur Gefangenschaft. Nachdem er aus dem Tran des Tiers Öl für Odin gemacht hatte, drückte sich Mimir vor der schweren Entscheidung, ob er den Wal selbst töten oder aber ihn freilassen und so den Zorn des Allvaters auf sich ziehen sollte. Stattdessen ließ er den Lyngbakr Jahrhunderte lang in Ketten liegen und hoffte, dass das Problem sich schließlich durch den Tod der Kreatur von selbst löst. Zu Mimirs Erschrecken stellt die Gruppe fest, dass der Lyngbakr noch am Leben und in ewigen Qualen gefangen ist. Sie beschließen, der Kreatur zu helfen, in der Hoffnung, dass sie den Rest ihrer Tage in Freiheit leben kann.
Auf den ersten Blick sieht man vielleicht nicht, dass dieser Gefallen nicht nur für Kratos und Mimir von Relevanz ist, sondern auch für andere Charaktere wie Freya und Atreus.
„Dieser Gefallen hat uns stark vorangebracht, weil er ein Spiegelbild der gesamten Charaktere ist“, sagt Gaubert. „Bei Mimir und Kratos ist es offensichtlich, da sie selbst buchstäblich Gefangene waren. Aber er trifft auch auf Freya zu, die so lange in Midgard festsaß und davor in einer toxischen Ehe lebte. Und sogar für Atreus ist er relevant – er ist ein Sohn, der, metaphorisch gesprochen, in der Rolle feststeckt, die seine Familie für ihn festgelegt hat, und der er verzweifelt entfliehen will.“
Egal, wann oder mit wem ihr diese Quest angeht: Sie wurde absichtlich vom Team so entworfen, dass ihr ein tieferes Verständnis der Charaktere bekommt, indem ein Thema angesprochen wird, das für sie alle relevant ist.
Aufzeigen von Charakterentwicklung
Nebenquests sind per Definition optional, also musste Santa Monica Studio auch in Betracht ziehen, wie sie ein stimmiges Bild mit Kratos‘ Charakter ergeben. Ein Teil seines Handlungsbogens vom letzten Spiel ist seine allmähliche Entwicklung vom stoischen Pragmatiker zu einem liebevolleren, mitfühlenderen Vater. Obwohl Kratos sich in God of War (2018) stark persönlich weiterentwickelt hat, war dem Team klar, dass es nicht authentisch für ihn wäre, jetzt jede Quest aus bloßer Nettigkeit anzunehmen:
„Dass Kratos weicher geworden ist, hat es uns ermöglicht, Nebenquests zu haben“, sagt DiMento. „Sie hätten nicht funktioniert, wenn er immer noch die hochfokussierte Tötungsmaschine der vorherigen Spiele gewesen wäre. Wir haben jedoch seine stoische Art beibehalten und ihm persönliche Gründe gegeben, diese Nebenquests zu verfolgen.“
„Meistens hat er einen bestimmten Hintergedanken, wenn er etwas Gutes tut. Ansonsten hätte sich das falsch angefühlt“, führt Gaubert aus. „Besonders am Anfang des Spiels ist er weniger altruistisch und will das beschützen, was er hat. Doch nach Abschluss der Haupthandlung wird impliziert, dass er diese Nebenquests aus selbstlosen Gründen annimmt. Indem wir diese Hintergedanken von Anfang an eingebaut haben, konnten wir die Alternativdialoge reduzieren, die wir hätten schreiben müssen, um seine sich verändernden Beweggründe im Verlauf der Hauptgeschichte zu illustrieren.“
„Geheimnis der Sande“ ist einer der Gefallen, in dem Kratos sowohl aus eigennützigen als auch aus uneigennützigen Gründen etwas Gutes tut. Die Quest beginnt damit, dass Atreus einen Schmerzensschrei hört, was die Gruppe auf ein Abenteuer schickt, um eine Kreatur namens Hafgufa aus einem Rankengefängnis retten. „Geheimnis der Sande“ ist die erste Hälfte eines Zweiteilers, dessen Abschluss „Das Lied der Sande“ bildet. Beide zeigen, wie weit Kratos als Vater gekommen ist und dass er Atreus‘ persönliche Werte mehr respektiert:
„Die Charakterentwicklung von Kratos geht weiter, wenn ihr den ausgetretenen Pfad verlasst und die Nebenquests angeht. Ich glaube, das ist etwas, das sowohl die Spieler als auch Kratos im Spielverlauf erkennen“, sagt DiMento. „Wenn man ‚Geheimnis der Sande‘ und ‚Lied der Sande‘ mit Atreus spielt, fragt er Kratos ständig: ‚Warum machen wir das? Warum willst du diesem Tier helfen?‘ Und dann gibt es diesen schönen Pointen-ähnlichen Moment, wenn Mimir sagt: ‚Er macht das, weil er einfach Zeit mit dir verbringen will.‘“
Im Verlauf dieses Gefallens sieht man zusätzliche Nuancen, die zeigen, wie sehr sich die Beziehung zwischen Kratos und Atreus mit den Jahren weiterentwickelt hat. Weil Kratos dazulernen und sich als Charakter weiterentwickeln konnte, zeigt er nicht nur ein tieferes Verständnis für das, was seinem Sohn wichtig ist, sondern auch das eigene Bedürfnis, zu handeln, ohne dass Atreus darum bitten muss. Am Ende hilft Kratos dem Hafgufa, weil er Zeit mit Atreus verbringen und etwas machen möchte, das seinem Sohn wichtig ist.
Teamarbeit
Man kann nicht genug hervorheben, wie hart Santa Monica Studio an den Nebenquests gearbeitet hat. Gaubert betonte, wie wichtig es ist, dem Spiel mehr Leben einzuhauchen und seine allgemeinen Themen herauszuarbeiten, indem man mehr erzählerische Zeit mit den Charakteren verbringt. Und wie DiMento sagt, kann das nur durch die Zusammenarbeit im Team zustande kommen.
„Die Leute in allen Abteilungen des Studios haben unglaublich hohe Standards für unsere Arbeit“, erklärt DiMento. „Uns alle motiviert der Wunsch, herausragende Arbeit zu leisten. Wir konnten so viele verschiedene Abteilungen zusammenbringen und diese Inhalte erschaffen, auf eine Art, die über das Erzählen der Hauptstory hinausging. Das meiste aus dem herauszuholen, was wir hatten, war unglaublich befriedigend.“ God of War Ragnarök ist jetzt auf PlayStation 4 und PlayStation 5 verfügbar.
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