Denken wir an die letzten Jahre der Rollenspielgeschichte zurück, wird eines recht deutlich: Entwickler spendieren Spielern und ihren Charakteren gerne das gewisse Extra. Ihr seid der Drachengeborene und könnt Gegner nur mit der Kraft eurer Stimme von einer Felskante schmettern. Ihr seid der Krieger des Lichts und der oder die Einzige, die sich der Dunkelheit stellen kann. Ihr seid ein Sprößling einer alten Rasse, der Power-Inquisitor mit der Kraft einer Pseudogottheit oder ein Hexer mit übermenschlichen Fähigkeiten.
Kurz, ihr seid in den meisten Geschichten etwas Besonderes. Eine Tatsache, die Nine Dots Studio-Gründer Guillaume Boucher-Vidal so gar nicht gefällt und der Grundstein für die Entwicklung von Outward.
Was also hebt diesen zunächst unscheinbar wirkenden Indie-Titel von vielen seiner Artgenossen ab?
Gestatten, Niemand
“Die grundsätzliche Idee von Outward ist, dass der Spieler kein übermenschlicher Held ist. Du bist weder der Auserwählte, hast keine Superkräfte und das Schicksal ist definitiv nicht auf deiner Seite,” erklärt uns Guillaume Boucher-Vidal bei einer Proberunde durch Outward.
Schon der Start des Titels lässt euch keine Butter auf dem Brot. Eure Familie ist wenig beliebt und ihr habt bei eurem Stamm hohe Blutschulden, die bis in die Generation eurer Großeltern zurückreichen. Noch dazu habt ihr all eure Ressourcen in eine Expedition gesteckt, die mit einem Schiffsbruch vor der Küste eurer Heimat die letzten Hoffnungen eures Alter Egos in einem nassen Grab begrub.
Aber nicht alle Menschen eures Stammes sind herzlose Hardliner und so verschafft euch das Oberhaupt fünf “Trauertage”, in denen ihr die 150 Silberstücke auftreiben könnt. Das ist allerdings leichter gesagt als getan, denn neben dem Betreiben eures Leuchtturms, seid ihr nie wirklich in die harsche Welt außerhalb der Stadtmauern gewandert — im Grunde genommen seid ihr ein Niemand.
Euer erstes Quest ist also weder glorreich, noch einfach, aber es dient als starker Motivator euch mit der Welt auseinander zu setzen, schließlich steht euer gesammter Besitz vor der Zwangspfendung! (Die auch tatsächlich stattfindet, solltet ihr die Deadline nicht einhalten können.)
Qual der Wahl
Immerhin startet ihr mit 50 Silberlingen in der Tasche, also kann das Unterfangen nicht so schwer werden, oder? Tja, bis auf ein paar wenigen Utensilien wie einen Wasserschlauch, Schlafrolle, einen Fischspeer und ein paar alten Rüstungsfetzen bekommt ihr nichts geschenkt. Also muss das Budget in Ausrüstung investiert werden — mit guten Vorsätzen wurde schließlich noch kein Bandit besiegt.
Doch schon hier beginnt die Qual der Wahl, denn jede eurer Entscheidungen formt euer Abenteuer. Legt ihr für das Stahlschwert beim Schmied aus? Das frisst einen Großteil eures Budgets und ihr müsst auf den größeren Rucksack und heilende Tees des ansässigen Alchemisten verzichten. Holt ihr euch jedoch Rat von den Dorfbewohnern, lernt ihr für das Crafting-System sehr grundlegende Dinge wie einfache Holzwaffen, die mit geringen Mengen an gesammeltem Holz herzustellen sind. Natürlich müsst ihr in diesem Fall auch damit rechnen, nicht so viel Schaden auszuteilen.
Egal für welche Waffe ihr euch entscheidet, bevor ihr die Stadt verlassen könnt, bekommt ihr noch vom Torwächter einen Skill beigebracht. Ab diesem Zeitpunkt seid ihr nun völlig auf euch allein gestellt!
Alles tut weh
Seid ihr erst einmal jenseits der Stadtmauern unterwegs, werdet ihr schnell feststellen, dass nicht nur Sekiro tödliches Federvieh auf euch loslässt. Eure ersten Gegner sind vogelartige Geschöpfe und Hyänen, die sich nicht kampflos von ihrem Leder trennen wollen. Geübte Souls-Spieler werden schnell feststellen, das es besser ist, nicht getroffen zu werden und das Stamina-Management ein wichtiger Faktor in Kämpfen ist.
Doch die Nine Dots gehen noch einen Schritt weiter, wenn es um Dinge geht, die den Kampf beeinflussen. Euer Rucksack — ein unerlässliches Untensil, um Loot und andere wichtige Dinge wie Lampen, Zelte, Essen usw. zu transportieren — ist zwar ein praktisches Hilfsmittel, aber im Kampf hindert er eure Beweglichkeit. Per Knopfdruck könnt ihr ihn jedoch abwerfen, um euch einen kleinen Vorteil zu verschaffen. (Allerdings hat das Abwerfen noch einen praktischen nutzen, denn Treffer, die euer Rucksack einstecken muss, können Dingen darin beschädigen!)
Aber trotz jeglicher Befreiung von Ballast wird die eine oder andere Feindattacke laden. Rammt euch das Todeshühnchen den Schnabel in den Arm, tut das verdammt weh und ihr bekommt einen Schmerz-Debuff, der für eine gewisse Zeit jeden weiteren Schaden um 25% erhöht. Erwischt euch eine Hyäne, stehen die Chancen gut, dass sich der Biss des Aasfresser infiziert und ihr euch eine Krankheit einfangt. Habt ihr hier zu Beginn vielleicht beim heilenden Tee gespart? Dann kann es euch nun in weiterer Folge passieren, dass ihr euer Essen und Trinken nicht bei euch behalten könnt, wenn ihr die Krankheit nicht behandelt.
Seid Vorbereitet
Im Grunde genommen kann euch der Tod also ein paar Meter außerhalb der Stadt ereilen, wenn ihr nicht vorsichtig seid. Generell empfiehlt es sich, gut vorbereitet auf ein Abenteuer aufzubrechen. Ein voller Wasserschlauch, falls euch der Durst quält (aus Gewässern trinken ist eine Möglichkeit, aber Krankheitserreger sind immer ein Risiko!) und ein paar Snacks für unterwegs, die ihr euch in der heimischen Küche oder unterwegs am Lagerfeuer kochen könnt, verhindern Hunger uns sorgen abhängig vom Rezept für diverse Boni, die über Leben und Tot entscheiden könnten.
Auch die Kleidung spielt eine wichtige Rolle, denn wer eine Wüstengegend erkunden möchte, kann nicht in schwerer Plattenrüstung aufkreuzen, ohne einen Hitzeschlag zu riskieren! Gleichfalls ist das Reisen in der Nach mehr oder weniger unmöglich, habt ihr keine Fackel oder Laterne dabei. Nächte unter dem freien Himmel nutzt ihr allerdings sowieso besser um euch auszuruhen, schließlich könnt ihr nur dadurch eure Lebensanzeige und eure Stamina wieder völlig erholen.
Spannend ist hier jedoch die Zeitaufteilung: Ihr könnt nicht nur einstellen, wieviele Stunden ihr schlafen wollt, sondern könnt auch Zeitbudget opfern, um eure Ausrüstung zu reparieren und eure Lagerstätte zu sichern. Tut ihr das nicht, lauft ihr Gefahr, während eures Schläfchens von Banditen oder anderen Gefahren überrascht zu werden!
Kein Game Over
Doch egal wie gut ihr euch vorbereitet, eher früher als später werdet ihr den Kürzeren ziehen. Allerdings ist das in Outward nicht das Ende, denn dank des kontextbezogenen Niederlagensystems liefern euch die Entwickler eine coole Möglichkeit auf eine zweite Chance. Werdet ihr z.B. in der Nähe einer Stadt niedergestreckt, schleppt euch eine Patroullie in Sicherheit.
Geht ihr jedoch beim Kampf gegen Banditen zu Boden, stehen die Chancen hoch, dass ihr euch erst aus einem Sklavenlager befreien müsst, bevor ihr euer Abenteuer fortsetzen könnt. Mit etwas Glück werdet ihr von einer Kreatur aus vergangenen Zeiten gerettet, die durch die Welt zieht und euch meist einen wertvollen Gegenstand aus ihrer Sammlung überlässt!
Eine helfende Hand
Habt ihr erst einige Zeit in Outward verbracht und die Basics verinnerlicht, könnt ihr bei den Trainern der verschiedenen Ortschaften gegen Bares Fähigkeiten lernen, die euren Spielstil und eure Waffenwahl unterstützen. Habt ihr z.B. im Laufe des Abenteuers den Zugriff auf Mana freigeschalten, könnt ihr euch in Magie versuchen.
“Natürlich haben wir in einem Fantasiespiel auch Dinge wie Magie. Doch in diesem Fall sprechen wir von Beschwörungsmagie, ihr könnt also nicht im Sekundentakt Feuerbälle aus eurer Handfläche ballern. Auch Magie braucht Zeit und Vorbereitung, aber lasst ihr erst eine Beschwörung vom Stapel, ist diese mächtig genug, um einen Kampf schlagartig zu beenden,” führt Guillaume Boucher-Vidal weiter aus.
Wer all diese Systeme zwar spannend, aber auch ein wenig einschüchternd findet, sollte nicht gleich verzagen, denn wie vieles im Leben ist alles einfacher, mit der Hilfe eines Freundes. Aus diesem Grund könnt ihr Outward auch im Koop spielen — entweder online, oder via Splitscreen!
Also wagt euch in ein Abenteuer, dass euch zwar alles abverlangt, in dem sich aber auch jeder Sieg — sei er auch noch so klein — verdammt gut anfühlt!
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