Während ich in den Dachbalken eines verlassenen Bauernhauses kauerte, dachte ich darüber nach, welche Art von Spiel uns mit S.T.A.L.K.E.R 2: Heart of Chornobyl erwarten würde. Meine Taschenlampe ist ausgeschaltet und meine Pistole ist so leer wie mein Magen. Unter mir vernehme ich die Geräusche einer Schießerei und die Stimmen von Männern, die etwas auf Ukrainisch schreien. Ich nehme eine Gabel von dem verdächtig wirkenden Dosenfleisch und warte ab. Einige Augenblicke vergehen, ehe sich Stille über das Szenario legt. Ich fühle mich sicher genug, um mich aus der Deckung zu wagen und die Leichen nach Überresten abzusuchen. Meine Taschenlampe benutze ich dabei nicht. Doch was ist das? Mutierte Hunde stürzen auf mich zu und reißen meinen Leib in Stücke…
Ich möchte vorab sagen, dass ich eigentlich kein großer Fan von harten oder besonders gruseligen Spielen bin, doch weniger als 30 Minuten nach dem Beginn von S.T.A.L.K.E.R. 2 merkte ich, was für ein Schicksal mich ereilen würde.
„So wird es also sein“, flüsterte ich leise vor mich hin.
S.T.A.L.K.E.R. 2 ist ein knallhartes First-Person-Survival-Spiel, das sich an den Vorgängern der Stalker-Reihe orientiert. In der Rolle des neuen Protagonisten Skif betrittst du zu Beginn des Spiels eine Nachbildung der legendären Sperrzone von Tschernobyl. In der „Zone“ waren immer wieder seltsame und erschreckende Phänomene zu beobachten. Skif, ein Stalker, hat sich in die Zone gewagt, um nach Artefakten zu suchen und wertvolle Gegenstände zu finden, die ihm zum Überleben helfen oder für einen hohen Preis verkauft werden können. Leider sind auch viele andere zwielichtige Gestalten auf der Jagd nach den Artefakten und so nimmt Skifs Reise innerhalb der Zone schnell eine drastische Wendung.
Die Zone erkunden
Stalker 2 ist ein Open-World-Spiel, in dem brutale und unvorhersehbare Situationen auf Dich warten. Mache Dir bewusst, dass Dich praktisch jedes Lebewesen, dem Du begegnest, verletzen kann und wird. Falls Du die Serie noch nicht kennst, solltest Du Dich unbedingt darauf vorbereiten. Wie für ein Survival-Game üblich, bist Du ständig auf der Suche nach Munition, medizinischer Versorgung und Nahrung. Besonders ist, dass es bei dem gesamten Raum, in dem Du Dich bewegst, um ein riesiges Quarantänegebiet handelt, in dem es von Monstern, ökologischen Anomalien und jeder Menge Strahlung wimmelt.
S.T.A.L.K.E.R. 2 präsentiert seinen Horror jedoch nicht wie ein typisches Horrorspiel. Innerhalb der Zone sind die Kreaturen, die feindseligen Persönlichkeiten und die Verzweiflung, mit der Du an jeder Ecke konfrontiert wirst, ein Teil der Normalität – so ist es eben. Das Leben in diesem Gebiet ist kein Alptraum, aus dem die Bewohner*innen gerade aufgewacht sind. Vielmehr entspringt es einer bewussten Entscheidung, die viele Stalker bewusst getroffen haben. So entsteht ein einzigartiges und komplexes Umfeld, das darauf wartet, enträtselt zu werden.
Optisch fühlt sich die Zone wie eine Liebeserklärung an die Entwickler*innen von GSC an. Die schroffe Ostblock-Architektur der Achtzigerjahre erhebt sich eindrucksvoll aus den schaurig-schönen Feldern und Wäldern, die durch die Tragödie zwar in Mitleidenschaft gezogen wurden, sich aber dennoch mit den neuen Lebensumständen arrangiert haben. Die überraschend große Map steht vergleichbaren Open-World-Abenteuern in nichts nach und trotz der nuklearen Albträume, die darin lauern, lädt sie immer wieder dazu ein, erkundet zu werden.
Am besten kommen die zwei Gesichter von S.T.A.L.K.E.R. 2 über den Tag-Nacht-Zyklus zur Geltung, wobei insbesondere die Nächte einen Schrecken mit sich bringen, den ich so schon lange nicht mehr erlebt habe. Bei Tageslicht wirkt die Zone relativ bedrohlich. Die Gefahren sind gut sichtbar und wenn man sich im Morgengrauen mit einer Tasche voller Vorräte auf den Weg macht, kann man sich auf eine vergleichsweise entspannte Angelegenheit freuen. Sobald die Sonne hinter dem Firmament verschwindet, steigt jedoch die Spannung. Alles, was ich in diesem Moment tun wollte, werfe ich über den Haufen und ich denke nur noch darüber nach, was auf mich zukommt und wie gut ich darauf vorbereitet bin.
Du wirst direkt zum Prolog in die unbarmherzigen Gefahren der Nacht eingeführt und es ist wirklich aufregend, sich den Konsequenzen zu stellen. Besonders zu Beginn des Spiels, wenn die Vorräte und das Geld knapp sind. Später werden Dir die Dunkelheit und die Mutanten, die sich in ihr verbergen, vertraut vorkommen, doch in den ersten Stunden steigt der Adrenalinspiegel mit jedem Geräusch, das Du um Dich herum vernimmst.
Zwischen Freund und Feind
In der Zone triffst Du immer wieder auf neue Charaktere, die unterschiedlich wichtig für die Geschichte sind. In echter Rollenspielmanier kannst Du oft selbst entscheiden, welche Bedeutung Du ihnen zumisst. In einer Mission geht es darum, Schulden einzutreiben, doch als ich die Person vorgefunden habe, war ihr Haus von Bandit*innen besetzt. Sie waren genauso wie ich vor Ort, um Schulden einzutreiben. Ich habe zunächst versucht, an den Gemeinschaftssinn zu appellieren, doch als der Erfolg ausblieb, habe ich mich dazu entschieden, mich Ihrer zu entledigen. In vielen Momenten habe ich die Wahl, diplomatisch oder brutal vorzugehen, indem ich das Feuer eröffne und mir nehme, was mir zusteht. Letzteres kann natürlich weitreichende Konsequenzen nach sich ziehen, doch die Freiheit, über das eigene Maß an Moral und Gewalt zu entscheiden, macht dieses Rollenspiel zu etwas ganz Besonderem.
Ein zusätzlicher Aspekt, mit dem ich so nicht gerechnet hätte, betrifft den trockenen Humor, den die Charaktere in ihren Dialogen an den Tag legen. Dieser wird sogar noch einmal durch die Gesangsdarbietungen verstärkt, die auf Ukrainisch, der Muttersprache von GSC, in das Spiel eingegliedert werden. Selbst in vermeintlich sicheren Gegenden wie Siedlungen oder Bars sind die Interaktionen meist geprägt von einer ständigen Anspannung oder Starrheit, die jeden Moment in einem Konflikt münden könnte – dann aber in einem Geplänkel enden, weil die Personen erkennen, dass keine unmittelbare Gefahr besteht.
Zu Beginn des Spiels wurde ich zum Beispiel damit beauftragt, ein Artefakt aus einer gefährlichen Höhle zu holen, die giftiges Gas und bedrohlichen Schlamm abstößt. Außerdem hatte ich erfahren, dass die Höhle eine Art mutiertes Monster beherbergt, das mich überraschen und den Großteil meiner Vorräte in Anspruch nehmen würde. Als ich zu meinem Auftraggeber zurückkehrte, um ihn zur Rede zu stellen, zündete er sich in aller Ruhe eine Zigarette an, nahm einen Zug uns sagte lässig: „Na ja, wenn ich Dir direkt die Wahrheit gesagt hätte, hättest Du den Auftrag nicht angenommen.“ Es sind Interaktionen wie diese, die die NPCs, wenn auch nur für einen kurzen Moment, zu einem absolut glaubwürdigen Teil dieser Welt machen. Ich würde empfehlen, den Titel auf Ukrainisch zu spielen, um das ohnehin schon beeindruckende Setting von S.T.A.L.K.E.R 2 noch authentischer wirken zu lassen.
Die größte Stärke von S.T.A.L.K.E.R. 2 liegt in seiner Fähigkeit, ein gespenstisches Survival-Erlebnis zu kreieren, ohne dafür ins Okkulte abzugleiten. Während die Phänomene, die in der Zone lauern, in den Bereich der Science-Fiction fallen, bleiben die Schrecken und Anomalien die GSC World zusammen mit dem alternativen Tschernobyl erschaffen hat, völlig glaubwürdig.
Es ist eine durch und durch unbarmherzige Welt, die Dich gleichermaßen herausfordert, überfordert und belohnt. Als ich direkt zu Beginn des Spiels von den mutierten Hunden zerfleischt wurde, konnte ich noch nicht vorhersagen, ob S.T.A.L.K.E.R 2 wirklich meine Art von Spiel sein würde. Wer weiß, vielleicht ist es ja auch Deine.
Zum Glück kannst Du es herausfinden – und das schon heute! S.T.A.L.K.E.R 2: Heart of Chornobyl ist ab sofort für Xbox Series X|S und PC erhältlich. Außerdem erscheint das Spiel direkt zum Release im Xbox Game Pass.
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