Anmerkung des Redakteurs: Hallo zusammen. Ich bin Shuhei Yoshida. Heute startet eine Geschichtenreihe, die von unabhängigen Entwicklern geschrieben wurde. Ihre Spiele befassen sich mit interessanten, einzigartigen Themen, die zum Denken anregen sollen. Wir beginnen mit einer Geschichte, die sich in Night School Studios Afterparty um das Knüpfen von Beziehungen mit anderen Leuten dreht und vom Lead Writer und Director des Spiels verfasst wurde. Bleibt dran, denn wir werden in den kommenden Wochen noch mehr von diesen Geschichten veröffentlichen.
Wir wollten ein Spiel in einer Bar machen.
Das war die Ausgangsidee. Einfach nur ein Spiel in einer Bar. Ein einziger Handlungsort ist einfacher für die Produktion als ein Konzept mit mehreren Bereichen und durch die kulturelle Allgegenwärtigkeit von Lokalen ist alles leicht verständlich und nachvollziehbar. Aber der Hauptgrund, warum wir die Idee eines Spiels, das komplett in einer Bar spielt, so interessant fanden, war die große Vielfalt an Charakteren, die sie uns bieten würde. Bars sind wie Krankenhäuser, Gerichtssäle oder Schulen. Fast jeder wird – an irgendeinem Punkt in seinem Leben – einmal in einer Bar sein. Und genau wie auch Krankenhäuser, Gerichtssäle und Schulen gibt es sie schon sehr lange. Es gibt Bars auf diesem Planeten, die buchstäblich älter sind als der Dreck, der sie umgibt. Bars sind universell und „betrunkene Verstärker“ für menschliche Bindungen – und das schon fast so lange wie es Menschen gibt. Und das ist es, worum es in Afterparty wirklich geht. Bedeutsame Beziehungen, und warum es so schwer ist, sie zu knüpfen und aufrechtzuerhalten.
Um es näher zu erläutern: Afterparty ist ein Spiel über zwei tote Freunde namens Milo und Lola. Sie sind bedauerlicherweise und unerwartet aus dem sterblichen Reich geschieden, als sie gerade ihren College-Abschluss erhalten sollten. Stattdessen sind sie jetzt in der Hölle gefangen. So ein Jammer. Aber! Sie entdecken sehr schnell ein Schlupfloch im kosmischen Regelwerk, das ihnen erlaubt, zu entkommen, wenn sie Satan finden und den dunklen Engel in einer Reihe von Partyspielen unter den Tisch trinken. Es ist ein storygetriebenes Rätsel-Adventure, also gibt es natürlich ein paar Wendungen und Überraschungen auf dem Weg, aber das ist im Wesentlichen das Ziel: Entkommt der Hölle.
Eine Herausforderung in Milos und Lolas Unterweltabenteuer ist, Freundschaften zu schließen, um das Ziel zu erreichen. Und genau hier kommen die „bedeutenden Beziehungen“ ins Spiel. Die Hölle von Afterparty ist eine riesige Metropole, die sich über mehrere Inseln entlang des Flusses Styx erstreckt. Jedes Zentrum ist voller Dämonen und Seelen, die um eure Drinks und Aufmerksamkeit wetteifern. Für uns bei Night School war es wichtig, eine Geschichte zu erzählen, bei der ihr den Stress, den Humor, die Freuden und die Enttäuschungen erfahrt, wenn ihr Leute in einem fieberhaften sozialen Umfeld trefft, und das in einer brandneuen, einschüchternden Umgebung. Außerdem sollt ihr erleben, wie es ist, sich unter Zwang durch diese Beziehungen zu navigieren, die sich aus diesen Begegnungen ergeben können.
Wir haben versucht, das auf verschiedene Wege zu erreichen. Eine Idee war, das Trinken zu einer spaßigen und interessanten Spielmechanik zu machen, die cartoonhaft darstellt, wie ein echter Abend mit Fremden so aussieht. Für viele von uns kann das Sprechen mit jemandem, der Beginn einer Unterhaltung oder eine Freundschaft zu schließen eine Herausforderung sein, die es zu überwinden gilt – oder sogar zu überleben. Das geht besonders Milo und Lola so. Zwei junge Leute Anfang 20, denen es schon immer schwergefallen ist, neue Freunde zu finden. Aber es gibt einen Grund, warum das Trinken schon seit einer Ewigkeit ein soziales Schmiermittel ist: Es steigert euer Selbstbewusstsein. In einem Spiel ist es jedoch schwer, das umzusetzen. Nur die sensibelsten Spieler wären beim Interagieren mit computergesteuerten Charakteren so nervös, dass sie das Bedürfnis hätten, sich einen virtuellen Drink zu gönnen, um ihre virtuellen Nerven zu beruhigen. Daher mussten wir dem Trinken eine größere Bedeutung zukommen lassen.
Glücklicherweise ist die Wahl, Alkohol zu trinken, eine Entscheidung, die aus vielen kleinen, weiteren Entscheidungen besteht. Im echten Leben kennt ihr euch selbst, eure Begleitung und eure Alkoholtoleranz. Ihr meidet vielleicht einen bestimmten Cocktail, wenn ihr nicht aus Versehen zu viel flirten wollt, oder ihr kippt drei Shots auf einmal runter, um eure Nerven zu beruhigen. Deswegen ändern die Drinks in Afterparty Milos und Lolas Persönlichkeiten drastisch, um sich der Absurdität ihrer Situation anzupassen. Zum Beispiel lässt euch einer wie ein Gangster aus den 20ern sprechen, bis der Effekt nachlässt. Ein anderer lässt euer Gewissen aus eurem Körper entweichen, sodass jeder Gedanke und jede eurer Äußerungen zu den Grübeleien eines selbstverliebten Ekels werden. All das dient dazu, damit der Spieler diese sozialen Interaktionen „gewinnt“, damit ihr mit den wilden und ungezügelten Dämonen und toten Seelen in einer Sprache und einem Stil sprechen könnt, die sie zu schätzen wissen.
Man könnte jetzt behaupten, dass in diesem Ansatz eine gewisse Gefühlslosigkeit steckt. Wie kann man eine bedeutende Beziehung zu jemandem aufbauen, wenn man die Interaktion die ganze Zeit als ein „Spiel“ betrachtet, bei dem man versucht, das zu sagen, wovon man glaubt, dass es euer Gegenüber hören will? Deswegen war es wichtig, jeden Charakter, mit dem ihr in Afterparty sprecht und „feiert“, möglichst real und besonders wirken und auf das, was ihr sagt und tut, so ehrlich wie möglich reagieren zu lassen. Mit jemandem zu sprechen sollte sich nie so anfühlen, als ob ihr lediglich die richtigen Schlüssel für die richtigen Schlösser finden müsst. Ja, ihr habt euer Großes Ziel™ – aus der Hölle zu entkommen –, auf das ihr hinarbeitet, und all die kleinen Stationen und Hindernisse, die euch dabei im Weg stehen. Aber das bedeutet nicht, dass Gespräche nicht genauso unterhaltsam, unvorhersehbar, Stress verursachend und Begeisterung auslösend sein können wie eine echte, flüchtige Begegnung mit jemand Neuem bei einer Runde Bier-Pong. Um das zu erreichen, müssen die Charaktere, die ihr trefft, ihre eigenen Ziele, Ängste, Probleme und Ärgernisse haben. Und ihr solltet davon ausgehen, dass sie sich daran erinnern werden, wie ihr mit ihnen am Abend umgegangen seid.
Wie Sartre einst so vergnügt feststellte: „Die Hölle, das sind die anderen“. Damit bezeichnete er das umfassende, existenzielle Unbehagen, von einer anderen Person „gekannt“ zu werden. Wenn ihr euch so seht, wie euch andere Leute wirklich sehen, kann das eine fürchterliche Erfahrung sein. Milos und Lolas „persönlicher Dämon“, Schwester Mary Wormhorn, war der mechanische Weg, diese Idee umzusetzen. Sie erscheint und verschwindet im Verlauf der Geschichte zu den unpassendsten Gelegenheiten, macht sich über jede Entscheidung lustig, die ihr bis zu diesem Zeitpunkt getroffen habt, und bringt bis zum Überdruss die immense Sinnlosigkeit zur Sprache, dem Leben nach dem Tod entkommen zu wollen. Sie spricht die Tatsache an, dass ihr gerade irgendwo sitzt, wahrscheinlich allein, und ein Videospiel spielt, anstatt tatsächlich in die Welt hinauszugehen, um Leute zu treffen (etwas, das aktuell fast unmöglich ist). Sie ist der reinste Schrecken und nur da, um sich euch in den Weg zu stellen. Aber letztendlich ist auch sie nur eine „Person“ mit ihren eigenen Problemen und Wünschen. Wir hoffen also, dass Afterparty den Spielern wenigstens einen kleinen Trost schenken kann: Jeder ist im Grunde gleich.
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