Dieser Artikel wird im Rahmen des Women’s Writers Fund veröffentlicht. Das Pilotprojekt hebt die Stimmen von Frauen in der Gaming-Branche hervor und bietet eine zentrale Plattform für diverse Perspektiven auf Xbox Wire DACH.
Du bist vertieft in Dein aktuelles Lieblingsspiel, auf das Du Dich schon den ganzen Tag gefreut hast. Gemütlich sitzt Du auf der Couch, das Licht ist gedimmt – plötzlich überkommt Dich wieder dieses mulmige Gefühl – Übelkeit, Schwindel, Kopfschmerzen, Schweiß bricht aus…
Schätzungsweise 50% der Spieler*innen sind in irgendeiner Weise von Gaming Sickness, unangenehmen körperlichen Begleiterscheinungen beim Spielen, betroffen.[1] Nur selten wird darüber gesprochen und manchmal wird es – zu Unrecht – mit Schwäche in Verbindung gebracht.
Die Ursache von Gaming Sickness – ein sensorischer Konflikt
Wie kann etwas, das so viel Freude bereitet, gleichzeitig so viel Unbehagen im Körper auslösen? Insbesondere moderne Spiele, deren Grafik hochgradig realistisch ist, können unser Gehirn ins Chaos stürzen.
Ursache aller mit Gaming Sicknesszusammenhängender Probleme ist ein Konflikt zwischen den Informationen, die zwei Deiner Sinnesorgane an Dein Gehirn senden – Deine Ohren und Deine Augen:
Das Ohr, genauer gesagt das Innenohr, sagt Deinem Gehirn, ob Dein Körper sich bewegt – es ist Dein Gleichgewichtsorgan. Du kannst es Dir wie eine innere Wasserwaage vorstellen, denn tatsächlich ist die Flüssigkeit in den Bogengängen des Innenohrs dafür zuständig, dem Gehirn zu vermitteln, ob Du Dich in Bewegung befindest. Aber was passiert nun beim Spielen? Wenn Du auf Deinem Gaming-Chair vor dem Monitor sitzt und in Fortnite gerade den Feuerstößen eines Gegners ausweichst, oder in Forza mit Vollgas aus der Kurve heraus beschleunigst, signalisiert Dein Innenohr Deinem Gehirn Bewegungslosigkeit, während Deine Augen Deinem Gehirn suggerieren, dass Du Dich gerade sehr schnell bewegst. Es entsteht ein regelrechter Konflikt der Sinne, bei dem Augen und Ohren das Gehirn überfordern und verwirren. Dein Körper denkt, dass Du halluzinierst, vielleicht sogar vergiftet bist.[2][3] Er schlägt Alarm!
Beim Militär wurde dieser Zusammenhang schon vor Jahrzehnten bei der Bedienung von Flugsimulatoren beobachtet: Gaming Sickness ist nichts anderes als eine Form der Simulatorkrankheit.
Oft wird Gaming Sickness auch als Motion Sickness bezeichnet, was allerdings nicht korrekt ist: Der AusdruckMotion Sickness bezeichnet einen ganz ähnlichen Konflikt der Sinneswahrnehmungen, nur dass es sich hier genau umgekehrt verhält: Wenn du z.B. während einer Autofahrt als Beifahrer ein Buch liest, meldet das Gleichgewichtsorgan in Deinem Innenohr dem Gehirn, dass Du Dich in Bewegung befindest, während die Augen Deinem Gehirn signalisieren, dass sich hier überhaupt nichts bewegt. Aus diesem Grund wird Motion Sickness auch oft als Reisekrankheit bezeichnet. Die Symptome von Motion Sickness und Gaming Sickness sind also nichts anderes als Warnsignale unseres Körpers. Er merkt, dass etwas nicht stimmt und versucht Dich zum Erbrechen und Schwitzen zu bringen. Ihm sind alle verfügbaren Mittel recht, um Dir zu sagen, dass Du dringend aufhören sollst.
Wie fühlt sich Gaming Sickness an?
Die Symptome variieren von Person zu Person und können beim Spielen der unterschiedlichsten Gaming-Genres auftreten. Ein Spiel, das ein Gefühl der Übelkeit bei Dir auslöst, muss bei anderen Spieler*innen nicht zwangsläufig ähnliche Symptome hervorrufen. Zu den häufigsten Beschwerden gehören Schwindel, Übelkeit, Schweißausbrüche, Kopfschmerzen, Blässe, Orientierungslosigkeit, Erschöpfung und im schlimmsten Fall sogar Erbrechen oder ein Kreislaufkollaps. Wer jetzt denkt, dass er sich durch diese Phase durchkämpfen kann, wird in den meisten Fällen schnell eines Besseren belehrt.
Das Unwohlbefinden kann sowohl beim aktiven Zocken, als auch beim Zusehen entstehen. Einige Spieler*innen berichten, dass sie insbesondere, wenn sie nicht aktiv steuern, sondern nur zuschauen, besonders anfällig sind.
Eines steht fest: Gaming Sickness hat nichts mit Können oder Übung zu tun. Es ist ein Phänomen, mit dem auch viele Spieleentwickler*innen, Spielejournalist*innen und äußerst erfahrene Spieler*innen zu kämpfen haben.
Faktoren wie Dein allgemeiner Gesundheitszustand, Dein Alter, Dein Gleichgewichtssinn und eine Anfälligkeit für Migräne können sich auf die Stärke der Beschwerden auswirken. Sehr junge Spieler*innen sind häufig weniger anfällig für Schwindelgefühle, da ihr Gleichgewichtssinn oft noch nicht voll entwickelt ist.
Ich persönlich spiele schon seit früher Kindheit PC- und Konsolenspiele. Lange habe ich mich völlig zu Unrecht dafür geschämt, dass mir besonders in meiner Zeit als Spiele-Redakteurin sehr oft extrem schlecht geworden ist und ich mit ständigen Kopfschmerzen zu kämpfen hatte. Je realistischer die Spiele waren, desto stärker wurden meine Probleme. Ich habe mich daher gründlich untersuchen lassen und habe unter anderem in der Schwindelambulanz im Münchner Klinikum Großhadern sowie natürlich online nach Lösungen gesucht, die vielleicht auch Dir dabei helfen können, die Symptome zu vermindern oder ihrem Auftreten völlig vorzubeugen.
Das Problem mit der Ego-Perspektive
Gaming Sickness kommt besonders häufig bei Spielen in Ego-Perspektive vor. Aber warum?
Moderne Technologien versetzen Spieler*innen hautnah ins Spielgeschehen. Besonders in der Ego-Perspektive, in der man die Spielwelt direkt durch die Augen der Spielfigur zu sehen scheint, kommt uns die Spielumgebung besonders real vor. Es ist nicht verwunderlich, dass unser Gehirn davon massiv verwirrt sein kann.
Shooter sind daher besonders berüchtigt, Unwohlsein auszulösen. Es können jedoch auch Spiele aus der Third-Person-Perspektive Beschwerden auslösen, wenn sich die Kamera zum Beispiel besonders rasant dreht oder verwackelt mitschwingt.
Ego-Perspektive, rasante oder wacklige Kamerabewegungen und viele Drehungen, sowie ein verengter oder ungewohnter Blickwinkel gehören zu den häufigsten Ursachen von Gaming Sickness.
Was kann ich gegen die Symptome von Gaming Sickness tun?
Leider gibt es kein Allheilmittel gegen die aufkommenden Symptome. Jedoch kann ich Dir ein paar Ratschläge geben, mit denen Du das Auftreten der Symptome hinauszögern, ihre Intensität verringern oder sie sogar komplett vermeiden kannst.
Das Wichtigste zuerst: Der beste Schutz ist, es gar nicht so weit kommen zu lassen, dass es Dir richtig schlecht geht.
Wenn Du ein neues Spiel ausprobierst, taste Dich erstmal langsam heran, damit Dein Gehirn und Deine Sinne Zeit haben, sich der neuen Herausforderung anzupassen. Zum Beispiel kannst Du anfangs immer nur in Abschnitten von 5-10 Minuten spielen und die Spielzeit nach und nach steigern. Langsame Gewöhnung mit kurzen, sich steigernden Sitzungen gilt als eine der bewährtesten Methoden. Dein Körper baut dadurch langsam eine Toleranz auf. Eisern durchkämpfen ist in den meisten Fällen kontraproduktiv und kann ernste Folgen haben.
Kleine Veränderungen mit großer Wirkung
Schon einige kleine Veränderungen in Deinem direkten Umfeld können wahre Wunder wirken:
1. Abstand bitte!
Vermutlich haben es Dir Deine Eltern auch schon oft genug gesagt: Kleb nicht so vor dem Bildschirm! Es ist tatsächlich wahr, dass zu nahes Sitzen vor dem Monitor oder Fernseher die Symptome von Gaming Sickness verschlimmern kann. Das kommt daher, dass Deine Augen nicht mehr wahrnehmen können, dass Du Dich in einem statischen Raum befindest und Du dadurch Verwirrung in Deinem Gehirn auslöst. Dein Gehirn denkt, du bewegst Dich, obwohl sich Dein Körper überhaupt nicht bewegt.
2. Es werde Licht!
Auch wenn es Dir atmosphärischer vorkommen mag, in einem völlig dunklen Raum zu spielen – ausreichende Beleuchtung entlastet Deine Augen, fördert die Konzentration und vermindert Kopfschmerzen. Schalte also zumindest eine Schreibtisch- oder Stehlampe an, während Du spielst. Deine Augen registrieren dann, dass Du Dich in einem Raum befindest, und bewahren Dein Gehirn davor, vor lauter Zerstreuung Symptome auszulösen.
3. Eine frische Brise!
Öffne ein Fenster, um frische Luft hereinzulassen. Nimm eine aufrechte Körperhaltung ein, damit Du tief einatmen kannst. Wenn Du gut mit Sauerstoff versorgt bist, wird Dein Gehirn es Dir danken! Auch ein kleiner Spaziergang an der Luft kann helfen, die Symptome schnell zu lindern oder ihnen vorzubeugen. Manche Spieler*innen berichten, dass ein Ventilator ihnen schon gute Dienste erwiesen hat. Das Gefühl von Wind, während man statisch spielt und Action auf dem Bildschirm wahrnimmt, kann helfen, die sensorische Verwirrung zu mindern.
4. Pausen!
Regelmäßige Pausen können Dir unterm Strich einen längeren Gaming-Abend bescheren, indem Du die Symptome rechtzeitig abmilderst. Schon 10 Minuten reichen aus, damit Dein Gehirn sich etwas erholen kann. Gönn Dir ein frisches Glas Wasser und beweg Dich ein wenig. Denn neben Sauerstoffmangel kann auch Dehydrierung die Symptome deutlich verschlimmern. Verwende eine App, die Dich daran erinnert alle 30 Minuten eine kurze Pause zu machen und ein Glas Wasser zu trinken! So kann sich Dein Gehirn wieder auf die Umgebung einstellen. Das kalte Wasser ist besonders bei Schweißausbrüchen und Übelkeit eine Wohltat.
Wenn es ganz hart kommt, kann auch ein kleines Schläfchen Wunder bewirken. Müdigkeit ist generell ein Faktor, der Unwohlbefinden beim Spielen Vorschub leistet. Ausgeschlafen spielt man besser und konzentrierter. Wenn Du nicht schlafen kannst, können Atem- oder Meditationsübungen ebenfalls dabei helfen, Dich zu regenerieren. 5 Sekunden einatmen – 5 Sekunden warten – 5 Sekunden ausatmen – 5 Sekunden warten und nochmal von vorne!
5. Size does matter – Überdenke Deine Bildschirmgröße!
Ein riesiger Monitor, in dem man sich völlig verlieren kann, ist der Traum vieler Spieler*innen, unter Umständen aber ein Albtraum für Dein Gehirn. Der Bildschirm, den Du zum Spielen verwendest, sollte weder zu groß noch zu klein sein: Im Allgemeinen sind kleinere Bildschirme zu bevorzugen. Dadurch, dass nicht Dein gesamtes Blickfeld eingenommen wird, erinnert sich Dein Gehirn ständig daran, dass Du Dich tatsächlich stillsitzend in einem Raum befindest und die Bewegung nur im Spiel auf dem Monitor stattfindet. Wenn Du bereits einen großen Bildschirm angeschafft hast, kann es helfen, den Abstand zu vergrößern.
Zu klein sollte der Bildschirm jedoch auch nicht sein: Kleine Bildschirme, wie der Deines Smartphones, können die Augen ebenfalls massiv anstrengen und zu Kopfschmerzen führen, weil es schwierig ist, Details zu erkennen.
Ein Blick in die Einstellungen des Bildschirms ist ein Muss: Eine sehr hohe Anzahl der Bilder pro Sekunde (Framerate) kann zu Übelkeit führen. Um den ungewollten Brechreiz zu vermeiden, reduziere die Frames per Second. Es gibt jedoch auch Spieler*innen die schwören, dass es bei Ihnen genau umgekehrt ist – am besten probierst Du es einfach aus.
Diese technischen Einstellungen helfen, Gaming Sickness zu reduzieren
Es ist in jedem Fall ratsam, sich mit dem Optionsmenü eines Spiels auseinander zu setzen. Immer häufiger gibt es Einstellungen, die das Risiko für Unwohlsein vermindern können:
1. Kopfbewegungen abschalten
Die realitätsnahe Simulation natürlicher Kopfbewegungen eures Spielcharakters (Head Bob) ist ein tolles Feature, um ein Spiel noch realistischer wirken zu lassen. Leider ist unser Gehirn kein großer Fan dieses Features: Wie bereits erwähnt, weiß Dein Körper, dass er sich gerade nicht bewegt, Deine Augen melden ihm aber ständige wackelige Bewegungen – Überforderung ist quasi vorprogrammiert. Besonders kritisch wird es, wenn die Figur noch eine Waffe oder einen Gegenstand hält, der sich ebenfalls bewegt. Zum Glück kann man in vielen Spielen diese Kopf- und Waffenbewegungen deaktivieren.
2. Maus-/Kameraempfindlichkeit einstellen
Je höher die Empfindlichkeit von Maus und Kamera, desto schneller verlierst Du die Orientierung. Du solltest unbedingt mit einer Verringerung der Geschwindigkeit experimentieren.
3. Verwende ein Fadenkreuz
Ein Fadenkreuz kann Dir helfen, Dich auf einen statischen Bezugspunkt zu konzentrieren. Losgelöst von der Kamerabewegung bleibt das Fadenkreuz immer an der gleichen Stelle. Fadenkreuze werden zumeist in Shootern verwendet, um das Visier einer Waffe nachzuahmen und lassen sich in vielen Spielen aktivieren.
4. Bewegungsunschärfe deaktivieren
Bewegungsunschärfe ist eine weit verbreitete Technik in modernen Spielen. Die Ansicht verschwimmt durch eine schnelle Drehung der Kamera, zum Teil um Unschärfe zu simulieren, die man von natürlichen Bewegungen kennt, aber auch um kleine grafische Mängel bei niedrigen Bildraten zu kaschieren. Starke Bewegungsunschärfe kann Dein Gehirn jedoch massiv überfordern und Unwohlsein beim Spielen fördern. Zum Glück kann man sogenanntes Motion Blur in vielen Spielen deaktivieren.
5. Vergrößere Dein Sichtfeld
Viele Spiele verfügen über Sichtfeld-Einstellungen, mit denen Du die Perspektive skalieren kannst. Ein zu enges Sichtfeld kann sich wie ein Tunnelblick anfühlen und unangenehme Symptome erzeugen. Du solltest daher das Sichtfeld so weit wie möglich einstellen und – wie schon erwähnt – nicht zu nah am Bildschirm kleben.
Falls keiner der genannten Tipps Dir Linderung verschaffen konnte, tue Deinem Körper den Gefallen und suche Dir ein anderes Spiel oder ein anderes Genre aus. Kein Spiel der Welt ist es wert, sich damit dauerhaft Unbehagen zu bereiten!
Wer schon einmal heftigen Liebeskummer hatte, kann in etwa den Schmerz nachempfinden, wenn man einen heiß geliebten Titel aufgeben muss, weil es einfach körperlich zu anstrengend ist. Zum Glück gibt es viele Fische im Meer und eine Vielzahl an Genres und Spielen, die Dich über den Schmerz hinwegtrösten können und Dich körperlich weniger stark belasten.
Es kann gut sein, dass Du nur ein bestimmtes Spiel nicht spielen kannst. Also gib nicht gleich ein ganzes Genre auf, sondern teste, ob es eventuell eine Besonderheit des Titels war, der Dir Probleme bereitet hat. Ansonsten hilft leider nur ein Genre-Wechsel: Wenn Du merkst, dass Dir beispielsweise das Spielen von Ego-Shootern körperliche Probleme bereitet, probiere es mit einem Echtzeit-Strategiespiel, das das Schlachtfeld aus der Vogelperspektive darstellt, einem Rollenspiel, einem klassischen Sidescrolling-Jump’n’Run oder einem Adventure.
Und wenn Zweifel bestehen: Unangenehme Symptome können eine Vielzahl von organischen Ursachen haben. Ein Besuch beim Hausarzt oder Augenarzt kann nicht schaden. Ich war überrascht wie viele Ärzte selbst leidenschaftliche Spieler sind.
Über unsere Gastautorin Nina Schild
Mein Name ist Nina Schild und PC- und Konsolenspiele sind seit meiner frühen Kindheit ein wichtiger Bestandteil meines Lebens. Meine ersten journalistischen Erfahrungen durfte ich 2011 bei Gameswelt sammeln. Im Bereich Videospiel-PR habe ich unter anderem durch ein spannendes Praktikum bei Electronic Arts Einblicke gewinnen können. Aktuell texte und übersetze ich freiberuflich. Folgt mir gerne auf Instagram, Twitter oder Facebook.
[1] Chang CH, Pan WW, Tseng LY, Stoffregen TA. Postural activity and motion sickness during video game play in children and adults. Exp Brain Res. 2012 Mar;217(2):299-309. doi: 10.1007/s00221-011-2993-4. Epub 2012 Jan 1. PMID: 22210118.
[2] Nalivaiko, E., Rudd, J. A., and So, R. H. Y. (2014). Motion sickness, nausea and thermoregulation: the “toxic” hypothesis. Temperature 1, 164–171. doi: 10.4161/23328940.2014.982047
[3] Money, K. E., and Cheung, B. S. (1983). Another function of the inner ear: facilitation of the emetic response to poisons. Aviat. Space Environ. Med. 54, 208–211.
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